Vom Flachs, der auf den Feldern des Mühlviertels wächst, bis zur fertigen Latzhose in Leinen-Denim aus der Modemanufaktur Gerst sind es nur wenige hundert Kilometer. Bei einer regionalen Produktionskette wie dieser können Fairness und Nachhaltigkeit tatsächlich garantiert werden, ist Unternehmerin Gertraud Gerst überzeugt. Diese Überzeugung und die Leidenschaft für Mode und Handwerk haben sie nach vielen Jahren in der Medienbranche dazu gebracht, mit ihrer Vision von Mode ein eigenes Label zu gründen. Ihr Atelier liegt in einem kooperativen Werkstatt-Cluster im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern. Wir haben sie dort besucht und mit ihr über Nachhaltigkeit und Slow Fashion gesprochen.

Was genau verstehst Du unter Slow Fashion?
Ich fange mal damit an, was es nicht ist: Bei Slow Fashion geht es nicht um schnelle Trends und einen möglichst schnellen Umschlag von Billig-Kleidung aus der Massenproduktion. Vielmehr geht es um Qualität und Inhalt. Es geht um sorgfältiges und nachhaltiges Materialsourcing, um durchdachte Schnittgebung und gewissenhafte Verarbeitung, sodass Kleidung wieder mehr Wert und Dauerhaftigkeit bekommt. Aber auch die Art der Herstellung ist bei meiner Arbeit wichtig. „Slow process“ ist das Stichwort dazu, das heißt, die Herstellung erfolgt in traditionellen handwerklichen Arbeitsvorgängen im Gegensatz zur industriellen Fertigung.

Wann genau ist Mode denn eigentlich nachhaltig?
Viele KundInnen fragen mich, ob ich Sachen in Bio-Baumwolle habe. Ich sage nein, und erkläre ihnen, warum dieses Material für mich nicht der Inbegriff von Nachhaltigkeit ist. Zum einen, weil Bio-Baumwolle im Anbau einen sehr hohen Wasserbedarf hat, zum anderen weil es regionale Rohstoffe gibt, die besser sind. Flax beispielsweise wird seit Jahrtausenden auch in unseren Breitengraden angebaut und benötigt sogar bei konventionellem Anbau wenig bis gar keine Pestizide. Und kein anderer Stoff ist so elegant und angenehm zu tragen wie Leinen.
Wie können Kunden nachhaltige Mode erkennen?
Ein wichtiger Faktor für mich selbst beim Einkaufen ist die Regionalität in Material und Produktion. Insourcing statt Outsourcing. Denn wie die Erfahrung gezeigt hat, steht am Ende einer Outsourcingkette meistens Ausbeutung von Mensch und Umwelt. Wenn ich als Unternehmerin die Produktion selbst in der Hand habe, brauche ich keine internationalen Gütesiegel, die ohnehin schwer nachprüfbar sind.
In vielen Köpfen steckt die Vorstellung “Nachhaltige Mode ist teuer”. Stimmt das?
Ich würde es eher so formulieren: In vielen Köpfen steckt die Einstellung, ‚ich will zwar nachhaltige Mode kaufen, aber nur, wenn sie genauso billig ist wie in der Großhandelskette‘. Aber beides geht sich nicht aus. Nachhaltige Mode, die in meinem Fall auch in Österreich und von Hand produziert wird, hat ihren Preis. Mir ist es da auch wichtig, zu einem bewussteren Konsumverhalten anzuregen und Qualität vor Quantität zu stellen. Um es mit den Worten von Vivienne Westwood zu sagen: „Buy less, choose well.“

Was hat für Dich den Ausschlag gegeben, Dich mit nachhaltiger Mode zu beschäftigen?
Ich habe mir nicht vorgenommen, nachhaltige Mode zu produzieren und damit auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Bei der Arbeit habe ich gemerkt, dass es mir wichtig ist, als Unternehmerin nachhaltig und im Sinne des Gemeinwohls zu agieren. Es macht in vielerlei Hinsicht Sinn, wenn der Flachs, der zu Leinen-Denim verarbeitet ist, nur 200 Kilometer von hier entfernt auf den Feldern des Mühlviertels wächst. Das ist irgendwie identitätsstiftend und zugleich fördere ich damit die regionale Wirtschaft. Ich bin aber nicht dogmatisch diesbezüglich, ich verwende auch Deadstock, bei dem ich zum Teil die Herkunft nicht kenne. Da geht es dann mehr darum, Ressourcen zu schonen.
Was würdest Du Dir von der österreichischen beziehungsweise von der weltweiten Textilindustrie wünschen?
Wieder mehr österreichische Textilindustrie; dass Hanf bei uns wieder zu Stoffen verarbeitet wird.
Wie, glaubst Du, wird sich das Konsumverhalten in den kommenden
20 Jahren verändern?
Ich glaube, KonsumentInnen werden bewusster einkaufen und – wie beim Essen schon jetzt – auf Regionalität achten und lokale Maker und Labels unterstützen. Auch die Gemeinwohl-Ausrichtung von Unternehmen, bei denen sie einkaufen, wird zum großen Thema werden. Zumindest wünsche ich mir das.
Gerst – Atelier für Slow Fashion
Josef Karner Platz 1
3423 St. Andrä-Wördern
Showroom: Mi 13-17 Uhr und nach tel. Vereinbarung
Tel. +43 680 115 05 05
www.gerst.at | www.instagram.com/gertraud.gerst
